Großschönau
Im Sommer 1954, nach bestandener Lehrerprüfung (Mutter) und bestandener
Gesellenprüfung (Wolfgang), zogen wir, d. h. erst Mutter und ich, nach
Großschönau, für Edith war noch kein Platz. Sie blieb noch in
Spitzkunnersdorf, wo sie ja auch die Grundschule beenden mußte. In
Großschönau hatte Mutter ihre erste Anstellung als Lehrerin. Die Schule
für die Klassen 1-4 war im ehemaligen Amtsgericht von Großschönau,
einem schönen Gründerzeit Klinkerbau untergebracht. Unsere
Unterbringung war nicht so komfortabel, ein Zimmer und eine kleine
Küche in einem Umgebindehaus, bei Kantor Schiffner, in der
Theodor-Haebler-Straße. Auf dem Foto, unten ist die durchaus idyllische
Wohngegend wahrnehmbar. Hinten in der Mitte war das Modegeschäft
Knebel. Zu erkennen ist die Mandaubrücke und, ganz hinten, rechts, das
Heimatmuseum, in dem vor allem die für Großschönau prägende
Damastweberei zu studieren ist.
Für
mich ergab sich eine Erleichterung. Großschönau hatte einen Bahnhof mit
direkter Verbindung nach Zittau (Großschönau, Hainewalde,
Mittelherwigsdorf, Zittau). Aus der
Fahrt mit dem Fahrrad von Spitzkunnersdorf, 5 km nach Niederoderwitz,
war ein Fußmarsch von knapp 10 min geworden. Der Zug fuhr in
Großschönau um 6 Uhr ab und 18 Uhr war man wieder zurück. Großschönau
hatte auch ein Kino, das immer gut besucht war (es gab ja noch kein
Fernsehen). Dienstag bis Donnerstag, Freitag bis Montag zwei Filme pro
Woche. Vorstellungen waren 17.00 und 20.00 Uhr. Sonntag gab es
nachmittag um 15.00 Uhr auch noch Kindervorstellungen. Eintrittspreise:
Kindervorstellung 25 Pfennige; dritter Platz (Rasierloge) 75, zweiter
Platz 85 Pfennige, erster Platz 1,05 und Sperrsitz 1,25 Mark. Die 5
Pfennige waren der Kulturbeitrag. Vor der Vorstellung wurden Werbedias
von örtlichen Geschäften und Betrieben gezeigt, auch von privaten. Das
Kino wurde im vorigen Jahr (2006) weggerissen.
Als Maurer hatten
man in der DDR, zu dieser Zeit, 48 Stunden pro Woche, 6 Tage, zu
arbeiten und bekam im Jahr 2 Wochen Urlaub!
Meine erste Baustelle als Geselle war das Internat der Fachschule
für Elektroenergie in Zittau und auch an der neuen Fachschule für
Bauwesen, die ich später besuchen sollte, habe ich mitgebaut. Das
nebenstehende Bild zeigt die Baustelle und, wie viel Holz für die
Rüstung damals erforderlich war.
Wir verdienten als Maurer um die 400 Mark, netto, bekamen die
Schwerarbeiter-Lebensmittelkarte und mußten zu keiner Zeit fürchten,
die Arbeit zu verlieren. Natürlich war die körperliche Anforderung
hoch, vor allem im Winter, in dem ja durchgearbeitet wurde, z. T. mit
berufsfremder Arbeit, wenn es zu kalt war. So halfen wir im Kraftwerk
und der Sandgrube Hirschfelde mit oder arbeiteten innen, so im
Federnwerk Zittau. Wir haben aber auch eine Böschungsmauer aus
Bruchsteinen bei minus 20 Grad errichtet. Diese Mauer steht übrigens
heute noch!
In dieser Zeit, 1954, besuchte ich in Zittau die Tanzschule von
Fräulein Else Bartsch. Sie brachte uns Walzer, Langsamen Walzer, Polka,
Rheinländer, Foxtrott und Tango bei, vor allem aber auch gutes,
kavaliermäßiges Benehmen. Ich erinnere mich noch heute daran, daß der
Herr vor der Dame die Gaststube betritt, damit nicht die Dame von den
Gästen zuerst angestarrt wird. Auch geht der Herr immer links neben der
Dame, es sei denn, auf der rechten Seite droht Gefahr durch den
Verkehr, dann wird gewechselt. Auch entscheidet die Dame, wem sie die
Hand geben will, der Herr hat zu warten, ob ihm die Dame die Hand
entgegenstreckt. Viele weiter "Benimm"-Regeln sitzen noch heute, in
einer Zeit, wo das gute Benehmen langsam abgeschafft wird.
Ein Ort, den ich in Zittau sehr gern aufsuchte, war das Antiquariat von
Susanne Klotz, an der Johanniskirche. So wundervolle dicke, alte,
ledergebundene Wälzer, mit Goldschrift bedruckt, schmückten ihren
Laden. Vier Bände Goethe und vier Bände Schiller von ihr zieren noch
heute meinen Bücherschrank. Die Schrift in diesen Büchern wird heute
allgemein als "altdeutsch" bezeichnet und es gibt Landsleute, die sie
nicht mehr lesen können. Fräulein Klotz hat mir aber auch ein paar
Bücher von Karl May besorgt und unter dem Ladentisch verkauft.
Karl-May-Bücher waren in der DDR nicht erwünscht.
In der Bautzner Straße, die wir auf dem Weg vom Bahnhof in die Stadt
passierten, gab es ein Konsum-Warenhaus, die früher Ehape. Dort konnte
man schon früh, vor 7 Uhr, für 10 Pfennig eine Brühe, dazu für 5
Pfennig ein Brötchen bekommen. Wenn es die Zeit erlaubte, sind wir als
Maurerlehrlinge und Maurer oft dort eingekehrt.
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