Student an der Bauschule Zittau
Ich
hatte mich in meinem Betrieb, der inzwischen Kreisbau Zittau hieß, für
eine Delegierung zum Studium an der Bauschule Zittau (später
Ingenieurschule für Bauwesen) beworben. Meine Bewerbung wurde durch den
Kaderleiter (=Personalchef) sehr unterstützt. Er hieß Meyer und wohnte
in Großschönau, wo wir ja inzwischen auch wohnten. Nach
bestandener Aufnahmeprüfung konnte ich voller Stolz als Studierender ab
1. September 1955 die Zittauer Bauschule besuchen. Auch dort gab man
sich wieder viel Mühe, uns ein fundiertes Studieren zu ermöglichen.
Natürlich spielten die politisch bedingten Fächer, wie
Gesellschaftskunde, Russisch mit eine Hauptrolle. Alte, erfahrene
Dozenten, die wir mit Herr Baurat oder Herr Baumeister anredeten, haben
uns, dessen ungeachtet, viel praktisches Wissen vermittelt. Darunter
waren auch echte Originale, über die viele Anekdoten existierten.
Ich erwähne einige: Baurat Mießler, Baurat Dahmen, Baumeister Dehnert,
Herr Kiesling, Herr Fabian, Herr Anke, Herr Skutschik, "Biems Koarle",
Herr Rutte. Besonders letzterem bin ich persönlich noch heute dankbar.
Herr Rutte hielt Vorlesung in Deutsch. Der allergrößte Teil der
Studierenden hatte Grundschule und Berufsausbildung absolviert. Ganz
wenige nur hatten Abitur. Diesen Mangel versuchte Herr Rutte nach
Kräften und mit interessanter Vermittlung humanistischer Bildung, zu
beheben. Wenn im Stadttheater Zittau "Faust" gegeben wurde, war auch
"Faust" das Thema seiner Vorlesung. Wir hatten alle Anrecht im Theater,
es gab ja noch kein Fernsehen. So ein Stadttheater, wie in Zittau, war
eine bewundernswerte Einrichtung. Eine kleine
Stadt, mit 40.000 Einwohnern leistete sich ein Theater, das Oper,
Operette und Schauspiel im Repertoir hatte, einen Chor unterhielt (den
der Bauschul-Chor schon mal mit verstärkte) und nebenbei noch auf der
Freilichtbühne im Zittauer Gebirge spielte. Und, das alles mit
beachtlichem Niveau!
Unser dreijähriges Studium wurde durch
zahlreiche "Praktika" unterbrochen. Die meisten dienten nur dazu,
irgendwelche Engpässe (wie man damals wirtschaftliche Schwierigkeiten
nannte) zu beseitigen helfen. Geschadet haben sie uns nicht. Wir
Fachschüler (Studienziel: Ingenieur) hatten ja den Hochschülern
(Studienziel: Diplom-Ingenieur) voraus, daß wir über eine
abgeschlossene Berufsausbildung verfügten. Wir waren Maurer,
Zimmerleute, Betonbauer. Da konnte man mit uns auf den verschiedenen
Brennpunkten schon etwas anfangen. Wir waren eigentlich auch nicht böse
über diese kürzeren (1 Tag) oder längeren (4 Wochen) Unterbrechungen
des Studienbetriebes. Diese Einsätze "Praktika" zu nennen, war
natürlich Augenwischerei. So ging es mal (im November 1956) für
vier Wochen nach Mecklenburg, in Neverin Krs. Neubrandenburg war
das landwirtschaftliche Bauen in argen Rückstand geraten. Wir
versuchten, unter schwierigen Arbeitsbedingungen, nicht umsonst dorthin
geschickt worden zu sein und halfen mit, eine MAS
(Maschinen-Ausleih-Station), später MTS (Maschinen-Traktoren-Station)
zu bauen. Damals waren LPG (Landwirtschaftliche
Produktionsgenossenschaften) noch die Ausnahme und die selbständigen
Bauern bekamen die Möglichkeit, sich Maschinen auszuleihen. Erstaunt
war ich über den entwicklungsmäßigen Rückstand Mecklenburgs gegenüber
Sachsen. So gab es beispielsweise in Neverin keine befestigten Straßen
und auch keine Straßenbeleuchtung. Eine Konsumverkaufsstelle im Gutshof
war nur stundenweise besetzt.
Andere Gruppen unseres
Studienjahres haben an anderen Orten in Mecklenburg gearbeitet.
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Eine
Wohnungsbaustelle (Lückenschließung) in Zittau, Äußere Weberstraße, wo
wir nur einen Blitzeinsatz absolvierten - Horst Dießner und der Autor. |
Mit das interessanteste Fach: Vermessungstechnik - da passierte viel in freier Natur - Eberhard Paul und der Autor |
Neverin in Mecklenburg, an Schlamm war kein Mangel, auf dem Foto: Frenzel, Dießner und Krause |
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Mein täglicher Weg durch die ganze Stadt: Bahnhof - Schliebenstraße, hier das Johanneum mit Bautzner Straße |
Die Johanniskirche, verglichen mit anderen Kreisstädten, ist Zittau schon eine imposante Stadt. |
Der Marktplatz, der damals "Platz der Jugend" hieß und auch der Biusbahnhof der Stadt war - in der Mitte, das prächtige Rathaus im Tudortstil |
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Ingenieur-Holzbau bei Baumeister Dehnert, einem
ausgesprochenem Original - bei festlichen Veranstaltungen, wie
Semesterbällen, holte er zu vorgerückter Stunde seine Geige hervor und
unterhielt die ganze Gesellschaft. |
Exkursion zum ersten DDR-Plattenbau in Hoyerswerda |
Wieder so ein Praktikum, das eigentlich Arbeitseinsatz hätte heißen müssen. Für ein paar Nachmittage halfen wir dort als Maurer aus. |
Wohnen in Großschönau
Als Edith in Spitzkunnersdorf die Schule 1955 beendet hatte und mit
nach Großschönau kam, wurde es unzumutbar eng. Nach vielem Bitten und
Betteln bot uns das Wohnungsamt eine größere Wohnung an. Eigentlich
waren dort die Wohnverhältnisse ebenfalls unzumtbar, aber da war mehr
Platz. Es war das ehemalige Hotel "Alte Post". Im ersten Stock, ein
langer, finsterer Gang, vollgestopft mit Möbeln und Hausrat, in dem 4
Familien auf die einzelnen Zimmer verteilt waren. Es gab eine einzige
Wasserzapfstelle und eine einzige Toilette für uns alle! Bad natürlich
Fehlanzeige, aber das gehörte damals ohnehin noch nicht allgemein zum
Standard.
Wir waren aber durch die Enge beim Kantor Schiffner so verzweifelt, daß Mutter zusagte.
Zwei Familien in der alten Post, Sperlich und Peschke, stammten aus
Warnsdorf, dem Nachbarort von Großschönau. Warnsdorf liegt in Böhmen,
gehörte bis 1918 zu Österreich-Ungarn, bis 1938 zur Tschechoslowakei,
bis 1945 als Sudetenland zu Deutschland. Dann bekamen die Tschechen das
Sudetengebiet wieder und schmissen die 3,5 Millionen Sudetendeutschen
hinaus. Die Tschechen hatten keine Flüchtlinge und Vertriebenen
unterzubringen, brauchten das Gebiet eigentlich nicht. Es ging aber
1945 nicht nach Vernunft, so mußte das überbevölkerte, kriegszerstörte
Restdeutschland die Sudetendeutschen auch noch mit aufnehmen. Auch ein
Grund für die katastrophale Wohnungsnot!
Die Bahnlinie von Großschönau nach Seifhennersdorf, die kurze Zeit nach
dem Krieg wieder befahren wurde, ging über Warnsdorf. Ab und zu setzten
sich die Familien Sperlich und Peschke in den Zug und fuhren, von
tschechischen Grenzern bewacht, durch Warnsdorf. So sahem sie mit
eigenen Augen, wie ihre Häuser im Ortsteil Grund verfielen. In
Deutschland wohnte man in dieser Zeit "übereinander".
Der 8. Mai war in der DDR bekanntlich Feiertag und hieß "Tag der
Befreiung". Die Menschen damals empfanden diese Bezeichnung als
zynische Verhöhnung, besonders natürlich die Vertriebenen, die ja in
der DDR auch zynisch "Umsiedler" genannt wurden. Herr Sperlich meinte
dazu, daß sie erst am 9. Mai befreit wurden, an dem Tag, an dem sie
ihre Heimat verlassen mußten.
Im Erdgeschoß der "Alten Post" wohnten übrigens Ungardeutsche, die auch
ihre über Jahrhunderte angestammte Heimat verlassen mußten. Sie zogen
sich Paprika für ihre ungarische Küche an den Wohnungsfenstern. Das
Gemüse gab es zu der Zeit bei uns noch nicht zu kaufen. Die
Ungardeutschen (Donauschwaben) waren damals noch an ihrer Tracht zu
erkennen. Heute haben sie sich assimiliert.
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Konfimation meiner Schwester Edith 1955 |
Von
links Helen Przibille (Tante Lenchen), Cousine Heidrun, Großmuttel,
Konfirmandin Edith, Großvatel, Mutter, Alma Sprenger, Mutters Cousine
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Das erste Auto in der Verwandtschaft, weit und breit; Kurt Renger kauft sich für rund 15.000 Mark einen Skoda Oktavia.
Cousine Heidruns Konfirmation 1959 mit Edith |
Renate Gröllich, Cousin Dieter und Cousine Heidrun, 1954 |
Die Verbindung nach Spitzkunnersdorf riß nicht ab, so wohnten ja die
Verwandten noch dort und durch die dort verbrachten Jahre hatten sich
auch Heimatgefühle entwickelt, die bis heute anhalten. Ich bin gern in
dem kleinen und freundlichen Dorf. Der Dialekt ist mir vertraut und dem
Schlesischen verwandt. Außerdem übt die wunderschöne Lage im
Mittelgebirgsvorland Anziehung aus
Felsklettern
Unser dreijähriges Studium verbrachten wir nicht nur mit Statik,
Holzbau, Stahlbeton und Baukonstruktion sowie den Praktika. Das
Zittauer Gebirge mit seinen skurrilen Sandsteinfelsen lud zum zünftigen
Felsklettern ein. Mit Studienfreund Hartmut Gay und Hans-Jürgen
Hauptmann aus Großschönau, Manfred Kögler aus Lückendorf konnten wir
uns nach mehr oder weniger anstrengender Klettertour in manches
Gipfelbuch eintragen. Allerdings sei auch zugegeben, daß wir den
"Kelch", als schwersten Kletterfelsen des Zittauer Gebirges, nicht
geschafft haben. Unter Kletterern hieß das "einen Sack aufgesteckt" zu
haben.
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Das
Felsklettern war für Jugendliche unseres Alters eigentlich ein idealer
Sport. Es förderte den Mut, die Kameradschaft und die Verbundenheit mit
der Landschaft.
Wichtig war, daß man nicht leichtsinnig wurde und der Sicherheit immer Priorität einräumte.
Wir, Manfred Kögler, Hans-Jürge Hauptmann, Hartmut Gay und ich,
haben im Zittauer Gebirge viele schöne Stunden mit diesem edlen Sport
verbtracht.
Das nebenstehende Bild, von Manfred Kögler fotografiert, zeigt mich
beim Abseilen am Jonsdorfer Fensterturm 1957.
Dem oft körperlich anstrengenden Aufstieg folgte beim sächsischen
Felsklettern das Abseilen, als leichtester Teil der Klettertour.
Eine "Höhentauglichkeit" (Begriff aus dem Industrieschornsteinbau) war natürlich Voraussetzung für diesen Sport.
Das sächsische Felsklettern gilt als strengste Form des Bergsteigens.
Es dürfen nicht, wie im Hochgebirge, Haken, zur Sicherung,
eingeschlagen werde, wo es die Kletterer gerade für notwendig erachten.
Das Recht, Haken zu setzen, steht nur dem Erstbesteiger einer Route
bzw. eines Weges zu..
Die Schwierigkeitsgarade dieser Wege werden von 1 bis 7 unterteilt. Die
Sieben als schwierigste Stufe, wird noch einmal in a, b, und c
eingestuft. 7c ist der höchste Schwierigkeitsgrad. |
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Der Mönch, ein beliebter Kletterfelsen in Jonsdorf, in der Nähe der Nonnenfelsen |
Unser
Kletterlehrer, Manfred Kögler, hatte damals schon ein Motorrad, das man
heute in die Kategorie "Oldtimer" einreihen würde. Damals wurde damit
zünftig zum Klettern angereist. Manfreds Spitznamen war übrigens "Doa
Zünftsche" (Der Zünftige). |
Hans-Jürgen an einer kniffligen Stelle, als Vorsteiger |
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Manfred bei "unzünftigem Klettern" an der brütenden Henne auf dem Töpfer |
Mit dem Fahrrad 1956 an die Ostsee
Im
August 1956, genauer vom 12. -31.8., fuhren wir, Hans-Jürgen
Hauptmann, Manfred Kögler und ich mit dem Fahrrad von Großschönau bis
auf die Insel Rügen und wieder zurück. Es war für mich das erste Mal,
daß ich eine Wasserfläche, ohne das gegenüberliegende Ufer sah. Das hat
mich damals sehr beeindruckt. Es war alles noch nicht so perfekt, wie
heute. Fahrräder, Gepäck, Kleidung, Unterkünfte - heute würden die
Radler den Kopf schütteln. Auch Lebensmittelkarten brauchten wir noch,
sie wurden erst 1957 abgeschafft. Man stelle sich das heute vor, daß
man in der Gaststätte dem Ober Fleisch- oder Fettabschnitte bei der
Bezahlung mit zu übergeben hatte.
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Berliner Ring, 1956 |
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Jürgen und Manfred am Kurfürstendamm,
das Wirtschaftswunder lief schon
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Panne in Mecklenburg |
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Die F 96 (heute B 96) im Jahre 1956 |
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Abschied von der Ostsee, mit Hans-Jürgen
(Foto: Manfred Kögler) |
Alle
Fahrten über Berlin wurden immer genutzt, um einen Abstecher nach
Westberlin zu machen. Es war ja lange vor der Mauer. Wie jeder "Ossi"
(den Ausdruck gab es aber damals noch nicht) staunten wir die Autos und
Schaufenster am Kurfürstendamm an. Auch der Kinobesuch gehörte dazu.
Wir durften den Eintrittspreis in Ostmark bezahlen. Ich erinnere mich
noch, als wir uns einen Western ansahen und wir drei ziemlich einsam
weit vorn saßen. Da las der Westernheld aus der Bibel vor: " .... und
es werden kommen drei weise Männer aus dem Osten." Da lachte das ganze
Publikum hinter uns und wies auf uns drei.
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Einige
meiner Mitstreiter aus der Bauschule, v. l. Triest, Grundmann, (?),
Richter, Krause, Preuß, Tusche, Hinze, Gärtner, Tlusty, Rückert
(Ekkus), Rensch, Gay (Langer), Thomas, sitzend: Schuster, Paul (aufgen.
1956) |
Im
Sommer 1957 unternahmen wir, mein Freund Hartmut und ich, eine Radtour
von Zittau nach Berlin. Dabei fuhren wir über Guben (Hartmuts
Heimat) nach Berlin, wo wir überwiegend in Westberlin, mit
Unterstützung von Hartmuts Verwandten, die Sehenswürdigkeiten aufsuchtenEines
(Funkturm, Flughafen Tempelhof, Interbau).
Radtour 1957 nach Berlin
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Hartmut bei einer Stärkung (er ist 19 Jahre) | Das ausgebrannte Pückler-Schloß in Bad Muskau | Die neue Schule in Guben |
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Berlin-Ost, Friedrichstraße |
Brandenburger Tor, von Berlin-West aus |
Berlin-West, der Reichstag |
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Berlin-West, Interbau für uns besonders interessant | Potsdam, Friedenskirche | Berlin-West, Kongresshalle |
Letzte Ferien in Spitzkunnersdorf
Unsere
letzten Ferien, 1958, verbrachten wir (Hartmut und ich) in
Spitzkunnersdorf bei Onkel Helmut und Tante Käthe. Einerseits machten
wir uns nützlich, in dem Hartmut als Zimmermann ein Trockengestell für
Rohbraunkohle baute und ich als Maurer, Stallfenster einsetzte. Die
freie Zeit nutzten wir ausgiebig zu Klettertouren im Zittauer Gebirge.
Auch mancher Skat wurde abends mit Onkel Helmut gekloppt.
Ein
Lebensabschnitt ging dann für uns zu Ende. Hartmut trat seine Stelle
beim Talsperrenbau Weimar an und ich beim Spezialbau Leipzig. 1959
flogen wir noch gemeinsam nach Bulgarien und 1960 ging Hartmut in den
Westen. Wir haben aber den Kontakt nie abreißen lassen. Die ersten
Jahre nach der Mauer war die Verbindung allerdings nur brieflich
möglich.
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