Wüstewaltersdorf bei Kriegsende

frontverlauf

Den Ablauf der Ereignisse beim Einmarsch der Roten Armee hat meine Mutter in Ihren Erinnerungen beschrieben. Link: (unter Dora Leistritz) http://home.arcor.de/eulengebirge/

Wir versuchten der heranrückenden Front in Richtung Böhmen zu entkommen, was aber misslang. So wollten wir vom Reimsbachtal wieder nach Wüstewaltersdorf, über Wüstegiersdorf , Kaltwasser und Grund zurücklaufen. Überall waren inzwischen die Russen. Nach vielen Fährnissen, die erste Begegnung mit den „Befreiern“ kostete meiner Mutter den Ehering, bei der zweiten Begegnung wurden die Frauen vergewaltigt, erreichten wir schließlich wieder Wüstewaltersdorf. Erstaunlicherweise war unsere Wohnung im Leuchtenberger Haus unberührt, wie wir sie verlassen hatten. Vor der ersten Begegnung mit der Roten Armee im Reimsbachtal, trafen wir noch auf Wehrmachtseinheiten, von denen wir erst annahmen, es seien schon die Russen. Wir waren sehr erleichtert, als es deutsche Soldaten waren, noch dazu teilten sie an uns Kinder Schokolade aus. Die Uniform der Wehrmacht stand für Sicherheit und Zugehörigkeit zu uns, vor den anderen, den braunen Uniformen mußten wir uns fürchten. Das hat sich fest in mein kindliches Gehirn eingebrannt.

Ein gutes Versteck, um Frauen und Mädchen vor den Vergewaltigern zu schützen, waren die Schonungen in den Wäldern. Die Mädchen schliefen sogar dort und wurden von den Angehörigen versorgt. Meine Cousine Ursel Leistritz wurde von meiner Tante Else, ihrer Mutter, auch so versteckt. Es schmerzt schon, wenn diese Horden der Roten Armee von deutschen Landsleuten als Befreier bezeichnet werden. Zur damaligen Zeit hat sie kein Deutscher als Befreier empfunden. Deutsche Politiker haben den Veteranen der Vergewaltiger und Plünderer an Feiern zum Tag des Sieges auf dem Roten Platz in Moskau sogar die Ehre erwiesen. Ob an den Vorbeimarschierern auch die Vergewaltiger meiner Mutter dabei waren?

Es folgte die Zeit der sogenannten wilden Vertreibungen. In unserem Ort geschah das meist so, dass die polnische Miliz Haussuchungen veranstaltete. Drei Milizionäre mit schußbereitem Gewehr vornweg, dann 2 Zivilisten und den Schluss bildeten wieder 2 uniformierte Gewehrträger. Sie durchsuchten die begehrte Wohnung und fanden meist eine Eierhandgranate (die sie natürlich mitgebracht hatten). Die Deutschen mussten dann in 5 Minuten die Wohnung verlassen. Wir erlebten das auch.

Meine Mutter versuchte, diesen Rausschmiss-Überfällen durch (vorgetäuschte) Abwesenheit zu begegnen. So hatten wir uns auch einmal wieder in der Wohnung eingeschlossen, als diese Hausdurchsuchungen im Gange waren. Die Miliz wummerte gegen unsere Wohnungstür.

Wir saßen mit Mutter im Wohnzimmer, auf einer Decke, auf dem Fußboden. Als der Lärm zu laut wurde, machte sich bei meiner Schwester die Angst Luft und sie schrie laut.

Da mußte die Wohnungseingangstür (Doppeltür) dran glauben. Sie wurde mit Gewalt geöffnet, durch Einschlagen der Füllung mit dem Gewehrkolben. Die Miliz hatte kein Mitleid mit der Mutter und den zwei Kindern. Sie schrien nur immer: “Raus, raus, raus!“ Mutter zog uns die Schuhe an und packte ein paar Sachen ein. Da kam ein wahrscheinlich vorgesetzter Milizionär (sie hatten ja nicht alle ein Herz aus Stein) dem meine Mutter irgendeine Bescheinigung zeigte. Sein Kommentar: „Bleiben!“

Die wilden Vertreibungen hörten dann auf, dafür begann die schlimmste Hungerzeit. Die Polen hatten ja, intelligenterweise, die Bauern zuerst vertrieben. Mutter ging mit Frau Fellmann täglich in den Wald um deren Früchte zu holen. Als wenn der Himmel ein Einsehen hatte, gab es 1945 besonders viele Pilze und jede Kartoffel, jeder Apfel wurde zu einem Mittagessen verzaubert.

Im Spätsommer 1945 bekamen wir dann Einquartierung, einen polnischen Verwaltungsbeamten aus Krakau, Peter Lesch. Als er das erste Mal bei uns war, „aßen“ wir gerade zu Mittag. Sein Kommentar, als er das Menü sah: “Das ist für Kuh!“

Wir hatten Glück, es war ein gebildeter Mensch mit Manieren ( wir teilten die Polen damals in "Nationalpolen" und "Kommunisten" ein - Pan Lesch war Nationalpole). Unsere Mutter war zwar nun sein Dienstmädchen in der eigenen Wohnung, aber verpflegungsmäßig fiel doch allerhand für uns ab. Er bekam damals, als Pole Care-Pakete (hier hießen sie Unra-Pakete), von dem Inhalt gab er uns auch etwas ab. Normalerweise war der Begriff Care-Paket für Schlesier oder auch Menschen in der Ostzone ein Fremdwort.

Fast alle deutschen Nachbarn (wohltuende Ausnahmen: Holland, Schweiz, Luxemburg) hatten seit Generationen Appetit auf deutsches Land. Nach den beiden Weltkriegen konnten sie den stillen. Unsere schlesische Heimat wurde mit Konsequenz polonisiert. Wüstewaltersdorf bekam einen polnischen Namen: Walim. Ironie des Schicksals, wenn ich heute eine Geburtsurkunde im polnischen Schlesien ausgestellt bekomme, dann steht als Geburtsort "Walim" darauf. Den Ortsnamen gab es aber 1938 noch gar nicht.
Schule für deutsche Kinder gab es nicht mehr, ja es war streng verboten, daß deutsche Lehrer die Kinder privat unterrichteten. Mutige Lehrer taten es im Geheimen dennoch. Das persönliche Eigentum der deutschen Bevölkerung wurde zum Eigentum des polnischen Staates erklärt. Fotoapparate, Radios, Schreibmaschinen udgl. mussten sofort abgegeben werden. Unser Blaupunkt-Radio, Vaters Fahrrad, seine AGFA-Box (Fotoapparat) gingen auf diese Weise schon vorab in den Besitz des polnischen Staates (wer auch immer seine Repräsantanten gerade waren), unser anderes Hab und Gut folgte ohnehin später zu fast 100%. Wenn man zu dem Wert dieser Güter die komplette Infrastruktur (Häuser , Straßen, Eisenbahnen, Industrie, Grund und Boden), rechnet, ist unverständlich und schmerzhaft, daß bei heutigen Wiedergutmachungsverhandlungen und Zwangsarbeiterentschädigungen diese immensen Werte keine Rolle mehr spielen.

Je weiter ein Deutscher im Osten seines Vaterlandes wohnte, umso härter war er von den Auswirkungen des Krieges betroffen. Solange die Vertriebenen ein beachtliches Wählerpotential darstellten, haben die Parteien um ihre Stimmen geworben (SPD: "Deutschland dreigeteilt? Niemals!) heute sind sie den meisten Politikern nur ein lästiges Häuflein Ewiggestriger.

Ein Erlebnis will ich noch berichten. Unser "Anführer" Fellmann Hansel hatte erkundet, daß die Behörden als einen der letzten Akte, Propagandamaterial in eine Holzbude, schräg gegenüber vom Leuchtenberger Haus, eingelagert hatten. Wir krochen zu dritt durch eine Luke in die Bude. Beim Verlassen bildete ich den Schlußmann und wurde prompt vom polnischen Wachposten am Fabriktor entdeckt. Er richtete seine Waffe auf mich und bedeutete mir, näher zu treten. Ich mußte ihm zeigen, wo wir eingestiegen waren, dann ließ er mich laufen. Am nächsten Tag wurde das ganze Material mit einem Lkw abgeholt.

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