Vertreibung

So verging die Zeit, Schlesien wurde immer polnischer, immer mehr Landsleute mussten, später wollten, Schlesien verlassen. Man muß sich das alles heute, im extremen Rechtsstaat, vorstellen. Die Deutschen wurden gezwungen jedwede deutsche Inschrift an Häusern, Tafeln, Wegweisern zu entfernen. Auf den Friedhöfen haben dann polnische Vandalen und Grabräuber für die Zerstörung deutschen Andenkens gesorgt. Die immense Vernichtung von unwiederbringlichen kulturellen Werten erlaubt die Feststellung, daß die neuen Herren unsere Heimat zertrampelt haben.

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Die Miliz, hier auf DKW, sorgt für das Auswechseln der Straßenschilder. Die polnischen Namen wurden teilweise später noch einmal geändert: Reichenbach/Rybach/ Dzierzoniów und Wüstewaltersdorf/Lokietek/Walim.
Das Foto von 1945 ist in Hausdorf Kreis Waldenburg entstanden.
(Quelle: Archiv Lukasz Kazek, Wüstegiersdorf/Gluszyca)
Der damalige erste Milizkommandant in Wüstewaltersdorf, 
Pan Kunicki, auf einer späteren Aufnahme von 1978.
(Quelle: Archiv Lukasz Kazek, Wüstegiersdorf/Gluszyca)


Kurz und gut, am 18. August 1946 versammelten sich die „Auserwählten“ auf dem (1930/31 zugeschütteten, nach dem Gastwirt Hacke benannten) Hacketeich (heute Platz vor dem Supermarkt). Wenige Tage zuvor war Urgroßmutter Luise Leistritz gestorben und noch auf dem Zedlitzheider Friedhof begraben worden. Der knapp 20 km lange Marsch über Neugericht, Wäldchen, Reußendorf nach Waldenburg begann.
Selbstverständlich blieb das ganze Hab und Gut, Möbel, Wäsche, Kleidung, Kinderspielzeug - eben alles, was die Eltern angeschafft hatten zurück. Der Wohnungsschlüssel mußte in der Tür, außen, steckenbleiben. Ich kann es nicht anders nennen: Das Ganze war eine Orgie der persönlichen Bereicherung durch die Polen, wie sie die Geschichte noch nicht erlebt hatte.

Wir kamen abends, bei strömendem Regen an der Schule in Waldenburg-Altwasser an (Bild unten, links). Sie war total überfüllt und wir mussten erst noch wenigstens zwei Stunden ausharren, bis wir mit in das Gebäude gepfercht wurden. Die Schule war weder vom Mobilar noch von den hygienischen Einrichtungen für die Menschenmassen eingerichtet. Manche Landsleute mussten unter diesen Bedingungen mit Kind und Kegel dort mehrere Tage ausharren, bis sie verladen wurden. Letzte Station in Schlesien war der Bahnhof Waldenburg-Altwasser (Bild unten, Mitte). Dort wurden wir in die Güterwaggons verladen (manche sagen dazu "Viehwaggon", aber nur beim Transport anderer Menschengruppen). Es kamen wohl immer so an die 30 Leute in einen Waggon. Vorher wurde aber unser Gepäck (was man fortgebracht hatte) nach willkürlichen Gesichtspunkten auch noch kontrolliert. Die Kontrolleure konnten ihre persönlichen Bedürfnisse dabei befriedigen. Leider musste das Gepäckstück in dem auch die Fotoalben waren, das Interesse erregt haben. Diesen Verlust hatte unsere Mutter nie verschmerzt. Ich übrigens auch nicht. Einmalige Erinnerungsdokumente sind auf dem Müll gelandet oder werden heute auf polnischen Seiten im Internet angeboten. Diese, der persönlichen Bereicherung dienende Kontrolle kann ich den Polen nie verzeihen.

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Diese Zeichnung eines unbekannten Zeitzeugens wurde mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt von
Marila Kierat, Archiv, Wüstegiersdorf/Gluszyca
Lukasz Kazek im Buch "Im Wirbel um das Geheimnis von Riese/ W Kregu Tajemnic Riese"
An derselben Stelle, 42 Jahre später, im Jahre 1988 - im Vordergrund unser Lada

 

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Die Schule in Altwasser, für die meisten Vertriebenen aus dem Raum Waldenburg die letzte Station in der Heimat
Bahnhof Waldenburg-Altwasser, von hier wurden wir aus unserer Heimat, per Güterwagen, entfernt
Abtransport, Frauen, Kinder und alte Leute
(Foto: Der Spiegel)

 

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Eine zeitgeschichtliche Kostbarkeit!
Der Transport 48, im Waggon 48, entfernte 35 Einwohner aus ihrer Heimat Wüstewaltersdorf im Eulengebirge.
Unter den Nummern 33 - 35 sind wir, meine Mutter und wir zwei Kinder, Edith und Wolfgang, eingetragen. Der Familienname ist dem Schreiber von damals etwas mißlungen, aber alle anderen Daten und "Mitreisenden" stimmen.
Nach mir vorliegenden Unterlagen, ist dieser Transport am 23.8.1946, 21.00 Uhr, in Mariental/Niedersachsen eingetroffen und am 24.8.1946 um 11.20 Uhr weitergeleitet worden. Unsere "Mitreisenden" sind dann in Siegen und Delmenhorst angelangt. Wir drei hatten ja schon vorher (siehe unten) den Güterzug verlassen.
Da unsere Ausreise im August war und durch dichtbesiedeltes Gebiet führte, waren Verluste gering. Es gab Transporte im offenen Güterwaggon oder im Winter, z. B. aus Pommern. Diese wurden dann von marodierenden polnischen Banden auch noch überfallen und ausgeraubt.
Die erzwungene Erklärung bedarf wohl keiner näheren Erläuterung und reiht sich in die zahlreichen Willkürakte der Sieger des zweiten Weltkrieges ein.
Diese Themen wurden den Kindern in deutschen Schulen, sowohl der Ostzone, wie auch in den Westzonen, kaum oder gar nicht gebracht. Deutsche wurden nur als Schuldige dargestellt!

Meine Landsmännin, Gertrud Winkler, am 1. Februar 1913 in Wüstewaltersdorf geboren, sagt immer, einem Menschen die Heimat wegnehmen, ist das Schlimmste, was man ihm antun kann. Sie ist die älteste, noch lebende deutsche Einwohnerin von Wüstewaltersdorf.

Gertrud ist inzwischen, am 31. 10. 2010 im Alter von 97 Jahren in Ebersbach/Oberlausitz gestorben.

Unsere traurige Fahrt ging dann über Kohlfurt, wo wir zur Entlausung aussteigen mussten (niemand von uns hatte Läuse) bis nach Magdeburg.

Das Ziel unseres Güterzuges war die englische Zone, dort sind auch alle verwandten und nichtverwandten Mitreisenden gelandet (Quakenbrück, Delmenhorst, Siegen).

Beim Halt in Magdeburg wurde bekannt gegeben, wer in der russischen Zone bleiben wolle, der soll hier aussteigen. Unsere Mutter entschied, auf Zuraten von Tante Else, daß wir in Sachsen unsere Großeltern vermuten dürften und stiegen aus. Damit war die Entscheidung, spätere "Ossis" zu werden, gefallen. Wir kamen dann nach weiterer langer Bahnfahrt, in überfüllten Zügen (Tränen waren oft notwendig, um mitgenommen zu werden), endlich, vollkommen erschöpft und verdreckt in Niederoderwitz an. Es war die Bahnstation von Spitzkunnersdorf, wo Großvater geboren war und sein Bruder die väterliche Landwirtschaft betrieb.

Spitzkunnersdorf, ein Dorf in Ostsachsen, Kreis Zittau mit 2500 Einwohnern wurde nun unser neues Zuhause. Der Geburtsort meines Großvaters liegt, Gott sei Dank westlich der Neiße, wenn auch nur wenige Kilometer. Wir hatten dabei, eigentlich großes Glück, denn unser Großonkel Hermann, Großvaters Bruder, nahm uns alle auf seinem Bauernhof auf. Dabei war es nur ein kleiner Hof, 5 Hektar. So mussten wir, in der nun in Rest-Deutschland auch angebrochenen Hungerzeit, keinen Hunger leiden. Ein weiterer Umstand half uns, über den Verlust der Heimat in Schlesien leichter hinweg zu kommen: Spitzkunnersdorf liegt landschaftlich wunderschön im Mittelgebirgsvorland. Unser neues Zuhause wich also äußerlich nicht so sehr von unserer alten Heimat ab.

15 Millionen deutscher Menschen aus ihrer jahrhundertealter Heimat in Schlesien, Pommern, Ostpreußen, Westpreußen, Provinz Posen, Sudetenland, Böhmen und Mähren, Ungarn, Rumänien, Jugoslawien und an der Wolga zu vertreiben, unter Zurücklassung ihres Hab und Gutes, haben selbst Kriege im Mittelater nicht fertiggebracht. Erst in unserem aufgeklärten 20. Jahrhundert ist dieses einzigartige Verbrechen möglich geworden. Die Deutschen in den Ostgebieten waren keine Nomaden, sondern über Jahrhunderte mit ihrer Heimat festverwurzelt. Erschwerend kam hinzu, daß diese vielen Millionen in ein überbevölkertes, kriegszerstörtes Restdeutschland transportiert wurden. Für den dünnbesiedelten Osten Europas war es die schlechteste Entscheidung, die Deutschen aus ihrer Heimat zu vertreiben. Etwa 2 Millionen Zivilisten sind bei diesem völkerrechtswidrigen Verbrechen ums Leben gekommen. Man sehe sich diese Gebiete heute an! Deutschland gehört nun mit Holland und Belgien zu den am dichtest besiedelten Staaten in Europa. Es könnte sich selbst nicht mehr ernähren.

schoenebeck-1952Am schlechtesten hatten es die vertriebenen Schlesier getroffen, die in die Ostzone kamen, niemanden dort kannten und vielleicht auch noch als Gebirgler ins Flachland verpflanzt wurden. Care-Pakete, Lastenausgleich waren Fremdwörter - sie mußten sich offiziell auch noch als "Umsiedler" bezeichnen lassen. Ein Zusammenschluß in Landsmannschaften oder auch einfach ein Treffen der Leute aus einem Ort wurde von der Staatssicherheit verfolgt. Auch waren im offiziellen Sprachgebrauch nur die polnischen Namen der Orte in Schlesien erlaubt, obwohl die meisten sie kaum richtig schreiben oder aussprechen konnten.
Auf dem Foto von 1952 ein schlesisches Ehepaare, nach Schönebeck verpflanzt.
(Danke an Gudrun Burkert für das Foto)

 

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