Vertreibung
So
verging die Zeit, Schlesien wurde immer polnischer, immer mehr
Landsleute mussten, später wollten, Schlesien verlassen. Man
muß sich das alles heute, im extremen Rechtsstaat, vorstellen.
Die Deutschen wurden gezwungen jedwede deutsche Inschrift an
Häusern, Tafeln, Wegweisern zu entfernen. Auf den Friedhöfen
haben dann polnische Vandalen und Grabräuber für die
Zerstörung deutschen Andenkens gesorgt. Die immense Vernichtung
von unwiederbringlichen kulturellen Werten erlaubt die Feststellung,
daß die neuen Herren unsere Heimat zertrampelt haben.
Kurz
und gut, am 18. August 1946 versammelten sich die
„Auserwählten“ auf dem (1930/31 zugeschütteten,
nach dem Gastwirt Hacke benannten) Hacketeich (heute Platz vor dem
Supermarkt). Wenige Tage zuvor war Urgroßmutter Luise Leistritz
gestorben und noch auf dem Zedlitzheider Friedhof begraben worden. Der
knapp 20 km lange Marsch über Neugericht, Wäldchen,
Reußendorf nach Waldenburg begann.
Selbstverständlich blieb das ganze Hab und Gut, Möbel,
Wäsche, Kleidung, Kinderspielzeug - eben alles, was die Eltern
angeschafft hatten zurück. Der Wohnungsschlüssel mußte
in der Tür, außen, steckenbleiben. Ich kann es nicht anders
nennen: Das Ganze war eine Orgie der persönlichen Bereicherung
durch die Polen, wie sie die Geschichte noch nicht erlebt hatte.
Wir kamen abends, bei strömendem Regen an der Schule in
Waldenburg-Altwasser an (Bild unten, links). Sie war total
überfüllt und wir mussten erst noch wenigstens zwei Stunden
ausharren, bis wir mit in das Gebäude gepfercht wurden. Die Schule
war weder vom Mobilar noch von den hygienischen Einrichtungen für
die Menschenmassen eingerichtet. Manche Landsleute mussten unter
diesen Bedingungen mit Kind und Kegel dort mehrere Tage ausharren, bis
sie verladen wurden. Letzte Station in Schlesien war der Bahnhof
Waldenburg-Altwasser (Bild unten, Mitte). Dort wurden wir in die
Güterwaggons verladen (manche sagen dazu "Viehwaggon", aber nur
beim Transport anderer Menschengruppen). Es kamen wohl immer so an die
30 Leute in einen Waggon. Vorher wurde aber unser Gepäck (was man
fortgebracht hatte) nach willkürlichen Gesichtspunkten auch noch
kontrolliert. Die Kontrolleure konnten ihre persönlichen
Bedürfnisse dabei befriedigen. Leider musste das
Gepäckstück in dem auch die Fotoalben waren, das Interesse
erregt haben. Diesen Verlust hatte unsere Mutter nie verschmerzt. Ich
übrigens auch nicht. Einmalige Erinnerungsdokumente sind auf dem
Müll gelandet oder werden heute auf polnischen Seiten im Internet
angeboten. Diese, der persönlichen Bereicherung dienende Kontrolle
kann ich den Polen nie verzeihen.
 |
 |
Eine zeitgeschichtliche Kostbarkeit!
Der Transport 48, im Waggon 48, entfernte 35 Einwohner aus ihrer Heimat Wüstewaltersdorf im Eulengebirge.
Unter den Nummern 33 - 35 sind wir, meine Mutter und wir zwei Kinder,
Edith und Wolfgang, eingetragen. Der Familienname ist dem Schreiber von
damals etwas mißlungen, aber alle anderen Daten und
"Mitreisenden" stimmen.
Nach mir vorliegenden Unterlagen, ist dieser Transport am 23.8.1946,
21.00 Uhr, in Mariental/Niedersachsen eingetroffen und am 24.8.1946 um
11.20 Uhr weitergeleitet worden. Unsere "Mitreisenden" sind dann in
Siegen und Delmenhorst angelangt. Wir drei hatten ja schon vorher
(siehe unten) den Güterzug verlassen.
Da unsere Ausreise im August war und durch dichtbesiedeltes Gebiet
führte, waren Verluste gering. Es gab Transporte im offenen
Güterwaggon oder im Winter, z. B. aus Pommern. Diese wurden dann
von marodierenden polnischen Banden auch noch überfallen und
ausgeraubt.
Die erzwungene Erklärung bedarf wohl keiner näheren
Erläuterung und reiht sich in die zahlreichen Willkürakte der
Sieger des zweiten Weltkrieges ein.
Diese Themen wurden den Kindern in deutschen Schulen, sowohl der
Ostzone, wie auch in den Westzonen, kaum oder gar nicht gebracht.
Deutsche wurden nur als Schuldige dargestellt!
Meine
Landsmännin, Gertrud Winkler, am 1. Februar 1913 in
Wüstewaltersdorf geboren, sagt immer, einem Menschen die Heimat
wegnehmen, ist das Schlimmste, was man ihm antun kann. Sie ist die
älteste, noch lebende deutsche Einwohnerin von
Wüstewaltersdorf.
Gertrud ist inzwischen, am 31. 10. 2010 im Alter von 97 Jahren in Ebersbach/Oberlausitz gestorben.
Unsere traurige Fahrt ging dann über Kohlfurt, wo wir zur
Entlausung aussteigen mussten (niemand von uns hatte Läuse) bis
nach Magdeburg.
Das Ziel unseres Güterzuges war die englische Zone,
dort sind auch alle verwandten und nichtverwandten Mitreisenden
gelandet (Quakenbrück, Delmenhorst, Siegen).
Beim
Halt in Magdeburg wurde bekannt gegeben, wer in der russischen Zone
bleiben wolle, der soll hier aussteigen. Unsere Mutter entschied, auf
Zuraten von Tante Else, daß wir in Sachsen unsere
Großeltern vermuten dürften und stiegen aus. Damit war die
Entscheidung, spätere "Ossis" zu werden, gefallen. Wir kamen dann
nach weiterer langer Bahnfahrt, in überfüllten Zügen
(Tränen waren oft notwendig, um mitgenommen zu werden), endlich,
vollkommen erschöpft und verdreckt in Niederoderwitz an. Es war
die Bahnstation von Spitzkunnersdorf, wo Großvater geboren war
und sein Bruder die väterliche Landwirtschaft betrieb.
Spitzkunnersdorf,
ein Dorf in Ostsachsen, Kreis Zittau mit 2500 Einwohnern wurde nun
unser neues Zuhause. Der Geburtsort meines Großvaters liegt, Gott
sei Dank westlich der Neiße, wenn auch nur wenige Kilometer. Wir
hatten dabei, eigentlich großes Glück, denn unser
Großonkel Hermann, Großvaters Bruder, nahm uns alle
auf seinem Bauernhof auf. Dabei war es nur ein kleiner Hof, 5 Hektar.
So mussten wir, in der nun in Rest-Deutschland auch angebrochenen
Hungerzeit, keinen Hunger leiden. Ein weiterer Umstand half uns,
über den Verlust der Heimat in Schlesien leichter hinweg zu
kommen: Spitzkunnersdorf liegt landschaftlich wunderschön im
Mittelgebirgsvorland. Unser neues Zuhause wich also
äußerlich nicht so sehr von unserer alten Heimat ab.
15
Millionen deutscher Menschen aus ihrer jahrhundertealter Heimat in
Schlesien, Pommern, Ostpreußen, Westpreußen, Provinz Posen,
Sudetenland, Böhmen und Mähren, Ungarn, Rumänien,
Jugoslawien und an der Wolga zu vertreiben, unter Zurücklassung
ihres Hab und Gutes, haben selbst Kriege im Mittelater nicht
fertiggebracht. Erst in unserem aufgeklärten 20. Jahrhundert ist
dieses einzigartige Verbrechen möglich geworden. Die Deutschen in
den Ostgebieten waren keine Nomaden, sondern über Jahrhunderte mit
ihrer Heimat festverwurzelt. Erschwerend kam hinzu, daß diese
vielen Millionen in ein überbevölkertes,
kriegszerstörtes Restdeutschland transportiert wurden. Für
den dünnbesiedelten Osten Europas war es die schlechteste
Entscheidung, die Deutschen aus ihrer Heimat zu vertreiben. Etwa 2
Millionen Zivilisten sind bei diesem völkerrechtswidrigen
Verbrechen ums Leben gekommen. Man sehe sich diese Gebiete heute an!
Deutschland gehört nun mit Holland und Belgien zu den am dichtest
besiedelten Staaten in Europa. Es könnte sich selbst nicht mehr
ernähren.
Am
schlechtesten hatten es die vertriebenen Schlesier getroffen, die in
die Ostzone kamen, niemanden dort kannten und vielleicht auch noch als
Gebirgler ins Flachland verpflanzt wurden. Care-Pakete, Lastenausgleich
waren Fremdwörter - sie mußten sich offiziell auch noch als
"Umsiedler" bezeichnen lassen. Ein Zusammenschluß in
Landsmannschaften oder auch einfach ein Treffen der Leute aus einem Ort
wurde von der Staatssicherheit verfolgt. Auch waren im offiziellen
Sprachgebrauch nur die polnischen Namen der Orte in Schlesien erlaubt,
obwohl die meisten sie kaum richtig schreiben oder aussprechen konnten.
Auf dem Foto von 1952 ein schlesisches Ehepaare, nach Schönebeck verpflanzt.
(Danke an Gudrun Burkert für das Foto)
nach oben 